aktuell cv arbeiten texte home

 

Fernsehzimmer (doppelt)

"Die Welt ist helldunkel. Manches ist klar, vieles unklar. Was klar ist, wird bei genauerem hinsehen unscharf, das Dunkle auf die Dauer ein wenig deutlicher. Einiges scheint gut, anderes schlecht zu sein. Auch hier verschwimmen die eindeutigen Grenzen unter einer verschärften Beobachtung. Das Dunkle hellt sich auf, das Helle wird fleckig. Die Wirklichkeit ist gemischt, helldunkel." (H. Böhringer)

Wir sind es gewohnt, uns mit traumwandlerischer Zuversicht durch den vermeintlich erschlossenen Raum des Realen zu bewegen. Alles scheint bekannt und erkannt. Keine Überraschung auf der Netzhaut, kein Ton empört das Gehör.

Reduktion der auf die Sinne einstürzenden Eindrücke bedeutet Überlebensfähigkeit. Auswahl ist ihr Motor. Alles ganz normal. In Alexander Steigs Arbeit FERNSEHZIMMER (DOPPELT), die der hannoversche Videokünstler speziell für die Räumlichkeiten der Galerie Herold entwickelt hat, wird uns Alltäglichkeit präsentiert und im Erkennen derselben wähnt der Betrachter sich geborgen, vertraut seiner Wahrnehmung. Ein Fernsehzimmer. Unspektakulär, reduziert in seiner Formensprache auf das Wesentliche: rote Auslegeware, ein Tisch, darauf ein Fernsehapparat, davor ein paar Stühle. Auf dem Bildschirm flimmert derweil eine Karnevalssendung des dritten Programms (N3) - es ist Faschingszeit und 20:30 Uhr... Die Situation dient als Platzhalter der inneren Repräsentation, des individuellen und geistigen Korrelats im Betrachter. Schnell erfaßt, erkannt, abgehakt.


Fernsehzimmer (doppelt), 2002, Galerie Herold, Bremen

Steig macht es dem Betrachter oder besser Begeher seiner Installation scheinbar einfach. Doch leicht wiegt die Sache nicht. Die vermeintliche Verdoppelung des ersten Fernsehzimmers als Projektion im zweiten Raum erweist sich bei genauerem Hinsehen als Trugschluss. Keine 1:1 Live-Übertragung, wie zunächst vermutet, findet hier statt, obgleich beide Interieurs nahezu identisch wirken: die gleiche rote Auslegeware, der gleiche Tisch, der gleiche Fernseher, dasselbe Programm und die gleichen Stühle. Doch fehlen in der scheinbaren Projektion des zuvor begangenen Fernsehzimmers die Betrachter. Im realen Raum lümmeln sich Ausstellungsbesucher auf den Stühlen vor den Fernseher, die Projektion zeigt den Raum ohne Publikum; allein das Fernsehprogramm läuft gewohnt belanglos weiter. Der Unterschied offenbart sich dem Rezipienten nur durch Eigenleistung, indem er gewissenhaft beide Situationen aufs genauste analysiert, den ersten realen und den zweiten projizierten (nicht-realen?) Raum. Erst dieser sukzessive Abgleich der beiden Situationen fördert das zutage, was im alltäglichen Gebrauch unseres Wahrnehmungsapparates gern unbeachtet bleibt: die Selbstvergewisserung über das Gesehene, die Hinterfragung der Realität auf ihren inszenatorischen Charakter hin und vice versa die der Bilder auf ihren Realitätsgehalt.

Schlicht Mobilisierung der Sinne ist hier gefragt. Einmal mehr gelingt es dabei dem Künstler mit seiner Installation subtil-ironisch den gewohnt konsumierenden Blick zum innehalten anzuregen und zwingt den Besucher gekonnt unspektakulär, sich selbst zu hinterfragen.

Jörg Welack

(Manuskript der Eröffnungsrede anläßlich der Ausstellung Fernsehzimmer (doppelt), Galerie Herold, Bremen, 2002)

up