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Zeit der Illusion
Zur Video-Inszenierung "Sceneries - Landscapes in Repose" von Alexander Steig

"Eines Tages im August", so beginnt Kobo Abes Roman Die Frau in den Dünen, "verschwand ein Mann." Sein Schicksal wird sich in einer namenlosen Wüste vollenden, in einem Sandloch, das jede Hoffnung auf Erlösung absorbiert. Den Verlauf der Geschichte muss man nicht kennen, um zu erahnen, dass die Konstellation sich zur Parabel menschlicher Existenz verdichtet: Mann - Frau - Wüste. Die archaische Landschaft wird zum mystischen Raum, enigmatisch und ambivalent. Sie ist Gefängnis und Freiraum, Behausung und Bedrohung, Projektionsfläche innerer Befindlichkeit. In der Eröffnungssequenz seiner kongenialen Verfilmung Suna no Onna (Die Frau in den Dünen) von 1964, zu der Kobo Abe das Drehbuch lieferte, lässt Regisseur Hiroshi Teshigahara auf die rätselhafte Detailaufnahme eines einzelnen Sandkorns die Monumentalität einer Düne folgen. Gerade so, als habe er mit Mikro- und Makrostruktur zugleich das Spannungsfeld von Teilchen und Ganzem, Individuum und All, eine universelle Metapher im Sinn.


sceneries (1 + 2), 2008, Foro Artistico, Internationales Medienkunstforum, Hannover

Es sind jene vertrauten Deutungsmuster, die Alexander Steigs Videoinstallation Sceneries schon auf den ersten Blick als Chiffren des Elementaren ausweisen: zwei prächtige, großformatige Videoprojektionen zeigen Wüstenlandschaften - die eine strahlend gelb vor azurblauem Himmel, die andere unter nächtlichem Sternenzelt. Beide menschenleer. Ihre leuchtende Farbigkeit mildert den Eindruck der unerbittlichen Natur und schafft eine Aura von Verheißung. Steigs Sceneries sind vor allem Orte der Sehnsucht, exotische Landschaften wie aus Tausendundeiner Nacht. Ihr präziser Horizont markiert die Schwelle zwischen Hier und Dort; ein Motiv, das schon den Malern der Romantik das liebste war, weil es der Empfindung zwei Richtungen gibt: Heimweh und Fernweh. Zugleich funktioniert der Horizont als formales Element. Er teilt die Bilder in klare Farbflächen ein und überführt sie in abstrakte Komposition, was der romantischen Geste wohltuend entgegenwirkt. Die Synthese von Realismus und Abstraktion hält die malerischen Tableaux in Balance.


sceneries (1,3 + 2), 2008, Galerie k4, München

sceneries (1 + 2), 2008, Galerie k4, München

In einer Ausstellung der Münchner galerie k4 präsentierte Steig 2008 die Sceneries als dreiteilige Installation mit einer weiteren nächtlichen Wüstenlandschaft. Sie ist in grünliches Licht getaucht und suggeriert den Blick durch ein Nachtsichtgerät, wie es beim Militär Verwendung findet. Und sie ruft vor dem inneren Auge ein Katastrophenszenario auf, wie es allabendlich über Fernsehnachrichten und Internet ins heimische Wohnzimmer flimmert: Krieg im Mittleren Osten, Kampf ums Öl. Rückwirkend verändert diese Assoziationskette auch die Perspektive auf die magischen Panoramen, die eben noch vom sagenumwobenen Morgenland erzählten und nun viel eher an Gluthitze, Klimawandel und globale Erderwärmung erinnern. Die mediale Bilderflut - vor Steigs ikonographischen Videoprojektionen wird sie urplötzlich abrufbar.


sceneries (1 + 2), 2008, Foro Artistico, Internationales Medienkunstforum, Hannover

Doch nichts bereitet den Betrachter auf die überraschende Entdeckung vor, dass es sich bei dieser komplexen, mit kunsthistorischen und politischen Konnotationen aufgeladenen Arbeit um Closed-Circuit-Installationen handelt. Die monumentalen Kulissen entpuppen sich als mickrige Sandhäufchen, der blaue Äther, der Sternenhimmel als farbige Pappschilder, die Steig in einer Ecke des Ausstellungssaals (oder unscheinbar in einem Nebenraum) platziert und gewissenhaft ausgeleuchtet hat. Videokameras filmen die Szenerie; ihre Aufnahmen werden direkt auf die Wände projiziert oder auf Monitore übertragen. Die Realität und ihre Repräsentation, das Triviale und seine Überhöhung existieren gleichzeitig.

Seit Mitte der 1970er Jahre haben Closed-Circuit-Installationen das Alltagsleben erobert mit Überwachungskameras in Banken, Kaufhäusern, U-Bahnen und seit neuestem auch in Kneipen und Restaurants, deren intime Atmosphäre zwar Privatheit suggeriert, doch Sicherheitskontrollen nicht ausschließt. Das Gespenst der totalen Überwachung geht um. Insofern lassen sich Alexander Steigs Low-Budget-Installationen im aggressiv aufgerüsteten High-Tech-Zeitalter immer auch als lakonischer Kommentar auf die Absurdität der massenhaften Datenspeicherung lesen. Die Skepsis richtet sich gegen ein überbordendes Bildarchiv, das sich unserer Verfügbarkeit zwangsläufig entzieht, weil wir seine Informationen nicht zweifelsfrei deuten können. Schlussendlich initiieren die Sceneries eine kritische Reflexion über Authentizität. Über die Fragwürdigkeit von Abbildern und die Macht der Imagination.


Über-Wachen, 1999, Stadtfriedhof Engesohde, Hannover

Dabei hat sich Steigs künstlerisches Interesse von jeher an der Problematik eines Kontrollsystems entzündet, das seine spannendsten Momente aus der Dialektik von Erwartung und Enttäuschung bezieht. 1999 installierte er für die Arbeit "Über-Wachen" auf dem Engesohder Friedhof in Hannover eine Videokamera in einer leeren Grabkammer und übertrug das statische Bild auf einen Monitor, als sei das Wunder der Auferstehung als Möglichkeit in Betracht zu ziehen und spirituelle Erfahrung auf Film dingfest zu machen. Der latente Zweifel an der Berechenbarkeit der Realität und der Verlässlichkeit ihres Regelwerks infiltriert jede Situation, die Steig mit seinen Kameras besetzt - ob es sich um die Aufzüge im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, den Verwaltungstrakt des Frankfurter Dominikanerklosters oder den Keller der Ausstellungshalle Foro Artistico handelt. Dem unspektakulären Alltag wächst poetisches Potenzial zu. Eben deshalb, weil die Problematik von Schein und Wirklichkeit nie erschöpfend geklärt werden kann.

Schon Nam June Paiks legendäre Closed-Circuit-Installation TV-Buddha von 1973 formuliert die philosophische Frage nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit und der eigenen Identität mit den Mitteln der Videotechnik. Eine kostbare Buddha-Statue sitzt einem Fernsehgerät gegenüber und betrachtet ihr zeitgleich von einer Kamera aufgenommenes Abbild wie in einem Spiegel. Als ununterbrochen statisches Live-Bild ist es der ideale Fokus der Meditation, weil es - bewegt und unbewegt - verrinnende Zeit und Ewigkeit gleichermaßen vergegenwärtigt. Ganz ähnlich verhält es sich mit Alexander Steigs Sceneries. Deren Wüsten verkörpern die Auflösung jeder Dualität, die Erfahrung der Einheit von Sandkorn und Düne. "Sand ruht nie", weiß Kobo Abes fiktiver Held. "Während er über die Auswirkungen des fließenden Sandes nachgrübelte, verfiel er von Zeit zu Zeit der Illusion, daß er selber in dieses Fließen einbezogen sei."

Kristina Tieke

(Katalog Sceneries (Landscapes in Repose), Foro Artsitico, InternationalesMedienkunstForum, Hannover, 2009)

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