aktuell cv arbeiten texte home

Zurück in die Zukunft der Videokunst
Die mentalen Bilder von Alexander Steig

Im visuellen Overkill unserer Informationsgesellschaft sind es gerade wieder die unaufgeregten Medienbilder, die am nachhaltigsten in Bann ziehen. Vor Alexander Steigs Projektionen verharrt der Betrachter jedenfalls eine kleine Ewigkeit in Anbetracht des an sich unspektakulären und oft handlungslosen Wiederaufscheinens trügerisch bekannter Motive und ästhetischer Phänomene. Das Spektakel liegt in der prima vista undurchsichtigen Herkunft der übertragenen Bilder: so wird etwa ein Himmelskörper in den Fokus gerückt, über dessen verkrusteter Oberfläche aus Erhebungen und Kratern gerade die Sonne unterzugehen scheint. An dem Rand des gerade noch blitzartigen angestrahlten, leicht gewölbten Horizonts sieht man das Gestirn im dunklen Allraum versinken. Was sonst, als die Satellitenaufnahme des Mondes oder eines gleichermaßen unbelebten Planeten sollte dieses auf die nackte Wand projizierte Bild vorstellen? Irgendetwas stimmt hier aber bei aller illusionistischen Vorgabe der planetarischen Phänomene nicht. Und so tastet man kriminalistisch das Surface und gesamte Umfeld des Medienbildaufbaus ab. Folgende Indizien ergeben sich: die Struktur der wie infolge eines Lavagusses erstarrten Planetenoberfläche wirkt eine Spur zu synthetisch und gelackt. Die solare Lichtquelle flammt eher wie eine im freien Fall begriffene Sternschnuppe auf. Überhaupt hält sich die vermeintliche Sonne ungeachtet ihres niedrigen Standes unveränderlich auf dem immer gleichen Niveau auf. Es dauert einen schönen, langen Überraschungsmoment, bis man die physikalischen Bedingungen von Alexander Steigs simulierten Ansichten ausmacht, schließlich gaukeln einem die Kamera-Einstellungen respektive die mit dem Weitwinkelobjektiv heran geholten Details extraterrestrische Gegebenheiten lediglich vor. Im Falle von "sunset" (2006) handelt es sich de facto um eine relativ uneben verputzte Wand, die Alexander Steig partiell mit einem Scheinwerfer beleuchtet, um das so im Dunkeln erhellte Wahrnehmungsfeld durch eine punktgenau positionierte Kamera ins Visier zu nehmen und andernorts an der selben Wand zu via Videoprojektor zu spiegeln.


sunset, 2007, Kunsthalle FAUST, Hannover

Für das Projektstipendium der Landeshauptstadt München hat Alexander Steig nach einem für seine medialen Täuschungsmanöver adäquaten "Darkroom" Ausschau gehalten. Denn im eher unglamourösen Schattendasein eines nicht unbedingt als Ausstellungsraum deklarierten Off-Space kommen Steigs subtil dosierte Interventionen, wie er sie mittels des vom öffentlichen Raum her bekannten Closed-Circuit-Verfahrens der Videoüberwachung vornimmt, am besten zur Geltung. So wird man in dem als idealen Münchner Ausstellungsort anvisierten ehemaligen Heizkraftwerk in der Müllerstraße nun drei Arbeiten zum ersten Mal in einer Art dramaturgischem Szenario unter dem Titel "make some space" effektsteigernd parallel aufbereitet finden.

Neben dem bereits beschriebenen "sunset" bietet sich dort mit "Space #2 (stars)" (2005) als weiterem stellaren Abenteuer ein medialer Transfer in den Sternenhimmel dar, wie er in der um einen strahlenden Fixstern naturgetreu gestreuten Gruppierung der Planeten sonst vermutlich nur im Süden bei klarer Sicht auf ein nächtliches Firmament möglich wäre.


Space #2 (stars), 2005, Arena, Berlin

Um so frappierender ist auch hier die Auflösung des Vexierspiels: Als sei es ein Fernrohr, lässt Steig seine diesmal am Boden postierte Videokamera durch nichts als einen perforierten, allerdings von hinten angestrahlten Pappkarton blicken, um das physikalische Wahrnehmungsexperiment schließlich als bewusste Negierung des konkreten Raums zugunsten einer Re-Inszenierung eines galaktischen Ereignisses auf dem Monitor eines Schwarz-Weiß-Fernsehgeräts zu demonstrieren. Im dritten Part seiner Exkursion durch den fingierten Weltenraum sieht man in der Modifikation der Installation "Flying" von 2000 last but not least einen Flugkörper über eine modellhaft nachgebildete, sandige Wüstenlandschaft gleiten. Genauer gesagt handelt es sich um einen theatralisch illuminierten Papierflieger, der über einem staubbedeckten Plattenteller seine Kreise dreht und dessen Schattenwurf von einer Videokamera unaufhörlich beobachtet und wie zur Kontrolle des eingeschlagenen Kurses auf einem Monitor ansichtig wird.


flying, 2000, Eine Deutsche Einkaufspassage, Hannover; flying, 2003, Städtische Galerie im Buntentor, Bremen

An Steigs pseudonaturwissenschaftlichen Versuchsaufbauten bestichtletztlich auch die Leichthändigkeit der Konstruktion. Seine räumlichen Interventionen sind naturgemäß flüchtig und meist live nur an dem für sie eigens ausgewiesenen Ort authentisch wahrnehmbar. Nimmt man die Aufbauten nach Ablauf der festgesetzten Spielzeit in ihre einzelnen Bestandteile auseinander, bleiben als Konstanten der medialen Gleichung nicht mehr als Videokamera, Scheinwerfer, triviales Alltagsobjekt sowie Bildträger. Insofern haben Steigs Installationen immer etwas von einer neuen Stückentwicklung für das Theater an sich: Wie bei einer Generalprobe oder Premiere wird unter Beweis gestellt, dass Regie, Licht und Requisiten unter Maßgabe des zu verhandelnden Inhalts in den richtigen Blickwinkel gerückt sind.


make some space, 2007, ehemaliges Heizkraftwerk, München

Mit lakonischem Witz bezieht sich Steig auf die Pionierjahre der Videokunst in den sechziger Jahren und ihre letztlich auf wenige Geräte beschränkten, aber äußerst präzise eingesetzten Mittel. Er zeigt das seit den Frühzeiten der Videokunst bekannte Inventar unter dem süffisanten Aspekt, wie gedankenlos und abgestumpft wir angesichts einer hypertrophen Medienmaschinerie gegenüber den ästhetischen Repräsentationssystemen des Films geworden sind. Steig selbst spricht dabei selbst von einem "kalkulierten Anachronismus". Tatsächlich sucht er heute, im Zeitalter der übersteigerten filmischen Bildproduktion von Momenten des Begehrens, dezidiert nach einer neuen, klärenden Simplizität. Bereits Hitchcock verachtete das affektgesteuerte Agieren der Schauspieler vor der Kamera und forderte diese zu einer eher kühlen Handlung, zu einer vor allem geistigen Beziehung zur Kamera auf. Gilles Deleuze schreibt in seiner berühmten Abhandlung über "Das Bewegungs-Bild": "Mit der Erfindung des mentalen Bildes - oder Relationsbildes - fügt Hitchcock den Schlussstein in die Gesamtheit der Aktionsbilder sowie der Wahrnehmungs- und Affektbilder ein. Das erklärt seine Bildfeldkonzeption. (...) Indem er den Zuschauer in den Film einbezieht und den Film in das mentale Bild, bringt er den Film zur Vollendung. (...) Der Held aus 'Rear Window' hat einen noch unmittelbareren Zugang zum mentalen Bild, und zwar nicht nur, weil er Fotograf, sondern weil er schwer behindert ist: er ist gewissermaßen auf eine rein visuelle Situation reduziert."


surface, 2007, ehemaliges Heizkraftwerk, München

Gerade weil in vielen von Steigs Arbeiten Schauspieler völlig absent sind, meist sogar jede Form der Aktion ausgespart ist, lässt sich auch hier von einem "mentalen Bild" sprechen. Steig zwingt den Betrachter in eine Perspektive, von der allein er die optimale Perspektive auf das im Standbild projizierte meditative Bild hat. Oft platziert er ihn sogar in eigens zurecht gerückte Sitzmöbel. Das mutet tatsächlich wie ein gesuchter Anachronismus an, wenn man bedenkt, dass die Betrachter im Zeitalter der Flat Screens sonst frei im Präsentationsraum der Videos herumwandeln und sich vor allem in den Mehrfachprojektionen verlieren. Alexander Steigs mentale Bilder sind zugleich Fallenbilder, wir tapsen in die Konvention dessen, was wir von den seduktiven Überwältigungskünsten des Kinos her zu sehen gewohnt sind, um schließlich feststellen zu müssen, wie verbildet unser Sehen durch die Überreizung der Sinne geworden ist. Er führt letztlich zu dem Anfangspunkt der Videokunst zurück und bricht doch mit deren technischen Standards, indem er als vormaliger Maler auch wieder die in der Renaissance erfundene Zentralperspektive durch konkrete Rahmungen des Projizierten einbringt. Steigs künstlerische Raffinesse besteht in dem pointiert konzeptuellen Einsatz der bildnerischen Mittel bei gleichzeitiger Verbundenheit gegenüber dem Illusionismus, wie er durch den Blick aus dem Fenster geschult ist. Stichwort "Rear Window"! Vergleichbar mit Hitchcock, bezieht Alexander Steig die Zuschauer und den Film in das mentale Bild ein, stellt aus den Augen verlorene, unabdingbare Relationen zwischen gefilmtem Objekt und subjektivem Sehen wieder her.

Birgit Sonna

(Kataloge Förderpreise/Projektstipendien 2007 und fünf Inszenierungen, München, 2007)

up