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Mediales Aufräumen
Die Ausstellung „APPELL“ von Alexander Steig


Besucht man Alexander Steigs Website, wird man von einem Foto begrüßt, auf dem ein ungewöhnliches Arrangement zu sehen ist. Ein alter Röhrenmonitor, vielleicht aus den 1970er oder 1980er Jahren, steht ausrangiert auf einem ebenso alten Stuhl, daneben ein Besen. Alles zusammen befindet sich in einem baufälligen Raum, der Putz fällt von der Wand, die freigelegten Ziegelsteine zerbröseln. Weit und breit keine Steckdose, um den antiquierten Monitor zum Laufen zu bringen. Der Bildschirm zeigt deshalb anstelle eines Informations- oder Unterhaltungsbildes nur seine pure grau-monochrome spiegelnde Mattscheibe. Sie ist im Zentrum dieses Fotos und der Platzhalter für die mediale Vielfalt, die seit der Ära dieses Fernsehmodells ebenso für neutrale Nachrichtenverbreitung wie für manipulative Meinungsmache steht. Und diese graue Mattscheibe ist der Einstieg zur künstlerischen Arbeit von Alexander Steig, die sich mit eben jenen wechselhaften Inhalten von Bildwelten, ihren medialen Ausmaßen und unseren individuellen, ganz persönlichen Annäherungen beschäftigt.



Gleich im ersten Raum der Ausstellung „APPELL“ in der Ermekeilkaserne begegnen wir solchen Monitoren, die eigentlich längst zum Gestern gehören. Wie in einem Duell stehen sie einander gegenüber und lassen uns Vermutungen anstellen über die Personen, die auf den Bildschirmen im Porträt gezeigt werden. Ganz anders als sonst geben die Monitore keine bewegten Bilder wieder, keinen schnellen Ereignisfluss, dem wir rasant folgen müssen, sondern geben uns die Chance, uns in aller Ruhe auf das scheinbare Standbild zu konzentrieren. Unser Blick darf die Porträts eines jungen und eines älteren Mannes erkunden, Vergleiche anstellen und psychologische Deutungen und vielleicht sogar Ähnlichkeiten feststellen. Und wohl alle, die den Deutschen Herbst miterlebt haben, werden Hanns Martin Schleyer erkennen: einmal als Arbeitgeberpräsident und gedemütigte Geisel der Roten Armee Fraktion und einmal – viel weniger bekannt − als selbstbewusster junger Mann in Uniform einer Heidelberger Studentenverbindung.



Gerade das Bild von Hanns Martin Schleyer als Gefangenem hat sich in Verbindung mit den Geschehnissen der Terrorjahre um 1977 in unser Gedächtnis eingebrannt. Es gehört zu einer Ära, als wir den Bildern noch nicht misstrauten, ihre Authentizität noch nicht anzweifelten oder gar den Bildquellen manipulative Absichten unterstellten. Es waren die Jahrzehnte, bevor die digitale Revolution die Beweiskraft der Bilder außer Kraft setzte. Dennoch – Alexander Steig will, dass wir uns auch mit der Herkunft dieser Bilder auseinandersetzen. Die Offenlegung der Bildquelle gehört zum Programm seiner installativen Anordnung. Beide Porträts stammen von Vorlagen, die in der Nähe der Monitore ausgelegt sind, von einer Videokamera abgefilmt und direkt an den Monitor übertragen werden. Dieses sogenannte Closed-Circuit-Verfahren wird häufig eingesetzt als Mechanismus, der ohne zeitliche Verzögerung Videoaufnahmen vom Aufnahmeort in eine andere Umgebung transportiert, damit sie der Überwachung und Kontrolle dienen.



Das Gefühl der Kontrolle verstärkt sich im benachbarten Raum, wo es kein Entkommen gibt vor dem groß auf die Wand projizierten Augenpaar. Wieder sorgt eine Close-Circuit-Installation für den Bildausschnitt und gibt rasch zuerkennen, dass es die charakteristische Augenpartie von Franz Josef Strauß ist, der in denselben Jahren wie Hanns Martin Schleyer in die politischen Debatten der Bundesrepublik Deutschland mit seinen erzkonservativen Ansichten hineinwirkte und für reichlich Polemik sorgte. Zusätzlich zur zeitlichen Parallele hat Alexander Steig mit Franz Josef Strauß‘ bildhafter Anwesenheit bewusst den inhaltlichen Bezug zur Ausstellung im Gebäude der Ermekeilkaserne hergestellt. Als zweiter Verteidigungsminister der Bundesrepublik war Franz Josef Strauß von 1956 bis 1963 Hausherr dieser Kaserne und tätige anfangs von hier aus seine Amtsgeschäfte. Die adrette Autogrammkarte von Strauß, die Alexander Steig als Quelle für diese Projektion benutzt hat und ebenfalls in dem Raum betrachtet werden kann, verrät hingegen nichts vom militärischen Kontext und dem politischen Hardliner.



Auch im dritten Raum ist es erst die Übertragung der Videokamera, die verdeutlicht, aus welchem Zusammenhang das an die Wand projizierte Foto herausgetrennt worden ist. In diesem Fall stellt sich vermutlich die stärkste Bedeutungsverschiebung ein. Die Projektion gibt uns in der historischen Aufnahme einen jungen Mann zu erkennen, der sich lässig und gut gelaunt − möglicherweise bei einem Ausflug ins Grüne – hat ablichten lassen. Erst bei genauerem Hinschauen und beim buchstäblichen Blick hinter die Kulissen – nämlich dort wo sich Videokamera und Bildquelle befinden – eröffnet sich uns die tatsächliche und in Verbindung mit den anderen zwei Installationen erneut militärische Dimension dieser Aufnahme. Ein Soldat im Ersten Weltkrieg ließ sich während seines Fronteinsatzes unbeschwert fotografieren, um die Aufnahme als Lebenszeichen per Feldpost nach Hause zu schicken. Eine Fotografie, die im Ausnahmezustand des Krieges entstanden ist und doch die Normalität des Lebens vorzutäuschen versucht.



In allen drei Räumen treffen wir auf Inszenierungen von Fotografien, die über den Einsatz der Videokamera in filmische Medien verwandelt worden sind. Denn es sind eben keine Standbilder sondern Aufnahmen, deren Bewegung visuell kaum wahrnehmbar ist. Oder anders gesagt: Es sind Videos, die die Fotografien überwachen. Dieser Moment des Überwachens, des Hereinzoomens und des Eindringens in das Bild ist ein technischer Akt, der im übertragenen Sinn als eine intellektuelle Annäherung an die Bildinhalte und -darstellungen zu verstehen ist. In ähnlich Weise wie bei einer Überwachung, bei der die Frage „Ist hier alles noch in Ordnung?“ immer präsent ist, provoziert Alexander Steig in seiner Herangehensweise die Frage „Bildet dieses Foto noch andere Realitäten ab als die, die ich vermeintlich zu sehen glaube?“.

Die Identitäten der abgebildeten Personen werden damit diffuser, vor allem dann, wenn wir registrieren, dass Alexander Steig uns diese Personen als Stars präsentiert. So jedenfalls legen es uns die Werktitel nahe. Seit 2003 setzt sich die Serie „Stars“ bei Alexander Steig fort, in der eben nicht wie sonst üblich Personen aus der Film- und Musikbranche zu Stars erhoben werden, sondern Personen – mehr oder weniger bekannte – des politischen Lebens. Diese Nominierung als Star ist nicht mit einem gesellschaftlichen Upgrade verbunden. Vielmehr sind die „Stars“ in Alexander Steigs Arbeiten in eine glamourfreie Darstellung gepaart mit einer ironischen Brechungen eingebettet.

Offensichtlich wird ein Star erst über seine Präsenz in den Medien zum Star. Der Prozess, wie wir uns den hier abgebildeten Personen nähern, ist der öffentlichen Haltung gegenüber einem Star nicht unähnlich. Denn diese Haltung ist meist ambivalent: einerseits gibt es die Begeisterung für die idealisierte Person, die aus dem Starkult resultiert, andererseits gibt es den Wunsch, hinter die bloße Oberfläche der Starfigur zu schauen, den Menschen dahinter, auch mit seinen Schwachstellen und Fehltritten, eben die vielschichtige Persönlichkeit des Idols jenseits der öffentlichen Verklärung zu erkunden.

Eine solche Art der visuellen Erforschung von fotografischen und medialen Porträts legt uns Alexander Steig in seinen als „Inszenierung“ bezeichneten Arrangements nahe, indem er über eine gelenkte Fokussierung und Präsentation der Fotos sowie ihrer fotografischen Ausschnitte die medialen Voreinstellungen und Vorgaben aushöhlt. Das Opfer wird auch als Täter identifiziert, der Selbstbewusste auch als Gebrochener, der Pflichtbewusste auch als eigenmächtig Handelnder, der anonyme Mitläufer auch als überzeugter politisch Handelnder.

Wenn Alexander Steig bei seinen Werken bewusst von Videoinszenierung spricht, so ist es ein Verweis darauf, dass er dem Besucher nicht die Aufgabe des distanzierten Beobachters zuweist, sondern ihn dem Erkenntnisprozess dieser Doppelbödigkeit der medialen Bilder und Vorführungen aussetzen will. Der Appell, dem wir gemäß des Ausstellungstitels ausgesetzt sind, dem wir zu folgen haben, ist mehr als ein Nachhall aus den Zeiten, als dieses Gebäude eine Kaserne war. Es ist ein Appell an die Besucher dieser Ausstellung, die Konstruktionen von Medienbildern, ihre Verbreitung, Auslegung und Präsentationen infrage zu stellen.

Zurück zum Anfangsbild der Website, in dessen Mittelpunkt ein alter Röhrenmonitor und ein Besen in einem sanierungsbedürftigen Raum stehen. Dieses Ensemble erinnert an Joseph Beuys, der mehrfach in seinen Aktionen das Ausfegen von Innen- und Außenräumen demonstrativ vorgeführt hat. 1972 fegte Joseph Beuys zum Beispiel nach den Demonstrationen am 1. Mai den Berliner Karl-Marx-Platz. Auch die Düsseldorfer Kunstakademie hat Beuys ausgefegt und sogar im Wald die Blätter zusammengefegt. Stets war es eine symbolische Handlung, um überkommende Strukturen und verkrustete Gedankenprozesse zu beseitigen und Platz für Neues zu schaffen. In Alexander Steigs Ensemble ist der Besen gleich neben dem Fernseher wohl ebenfalls als Zeichen eines intellektuellen Aufräumens zu verstehen, eines Aufräumens, bei dem man sich von medial vorgefertigten und seit Jahrzehnten geprägten Bildbedeutungen zu distanzieren lernt.

Renate Buschmann

(Katalog Standort Ermekeilkaserne, Bonn, 2016/2020 )

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